Offener Brief an alle Delegierten der BDK Bündnis 90/Die Grünen am 28. und 29. Januar 2022

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Berlin, den 06. Januar 2022

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Drohnen-Kampagne ist ein 2013 gegründetes Netzwerk mit 150 Unterstützergruppen. Hierzu gehört auch Bündnis 90/Die Grünen (Partei, Bundesvorstand).[1]

Wir hoffen, dass Sie den Antrag A-06 „Aufrüstungsspirale beenden: Entschiedene Friedenspolitik statt Drohen mit Drohnen!“ für die Bundesdelegiertenkonferenz (BKD) vom Bündnis 90/Die Grünen am 28. und 29. 01. 2022[2] unterstützen werden, um eine neue Debatte über eine mögliche Bewaffnung von Bundeswehr-Drohnen innerhalb der Grünen und in der Gesellschaft zu lancieren. Durch diesen Brief wollen wir das Anliegen des Antrags mit weiteren Informationen unterstützen.

Bitte verteilen Sie diesen Brief an die Delegierten der BDK Bündnis 90/Die Grünen, die Sie kennen.

HINTERGRUND:

Noch im Dezember 2020 hatte die Grüne Bundestagsfraktion den Antrag im Bundestag, Keine Beschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr, gestellt.[3]  Jedoch haben Ende November 2021 SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag vereinbart: „Bewaffnete Drohnen können zum Schutz der Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz beitragen. Unter verbindlichen und transparenten Auflagen und unter Berücksichtigung von ethischen und sicherheitspolitischen Aspekten werden wir daher die Bewaffnung von Drohnen der Bundeswehr in dieser Legislaturperiode ermöglichen. Bei ihrem Einsatz gelten die Regeln des Völkerrechts, extralegale Tötungen – auch durch Drohnen – lehnen wir ab.[4]

  • Doch das in 2021 erstellte Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen ging bei weitem nicht so weit wie der Koalitionsvertrag. Es legte fest, dass eine „Gesamtabwägung“ stattfinden müsse, bevor eine Entscheidung zur Anschaffung von bewaffneten Drohnen getroffen werden könnte. Nach dem Wahlprogramm „muss klar gemacht werden, für welche Einsatzszenarien der Bundeswehr die bewaffneten Drohnen überhaupt eingesetzt werden sollen, bevor über diese Beschaffung entschieden werden kann“.  Auch mit diesen Einschränkungen war nur eine sehr knappe Mehrheit der Delegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen im Juni 2021 zur Zustimmung bereit.[5]
  • Delegierte zum Bundesparteitag des Koalitionspartners SPD haben am 11. Dezember 2021 die Tür in der Koalition zu weiteren Debatten über Bundeswehr-Drohnen geöffnet, und die SPD-Parteiführung hat trotz des Koalitionsvertrags ihre Unterstützung für eine neue Debatte in der SPD versprochen.[6]
  • Wir begrüßen die neue Debatte zur Bewaffnung von Bundeswehr-Drohnen.  Aus den folgenden Gründen halten wir die Zusage in dem 2021 beschlossenen Koalitionsvertrag, bewaffnete Drohnen für die Bundeswehr zu „ermöglichen“, für nicht gut durchdacht:

1) Das Argument, dass die Bundeswehr zurzeit dringend bewaffnete Drohnen benötige, um  Soldat*innen bei Auslandseinsätzen zu schützen, ist fadenscheinig. Das Argument, dass bewaffnete Drohnen Soldat*innen den besten Schutz bieten, ist fragwürdig.

a) Es gibt zurzeit kein Mandat für eine Bundeswehr-Auslandsmission, bei welcher der Einsatz von bewaffneten Drohnen passend oder notwendig wäre. Für den UNO-Einsatz in Mali (MINUSMA) müsste die UNO erstmal entscheiden, ob bewaffnete Drohnen erwünscht sind.

b) Seit 2014 sind keine Bundeswehr-Soldat*innen durch „gegnerische Einwirkung” getötet worden, laut einem öffentlichen Dokument des Bundesverteidigungsministeriums vom Februar 2019.[7]  Und in den Jahren 2019-2021 gab es keine Medienberichte über Tötungen von Bundeswehrsoldat*innen durch „gegnerische Einwirkung” bei Auslandseinsätzen.

c) Wenn bewaffnete Drohnen Soldat*innen einen sicheren Schutz geben könnten, warum wurden so viele US-Soldat*innen in Afghanistan und im Irak getötet? Und warum werden französische Soldat*innen in Afrika getötet?

d) Der Einsatz von bewaffneten Drohnen kann die Gefahr für Soldat*innen sogar erheblich erhöhen, weil er einen „Blowback“ in Form von Hass und Terrorismus schürt. Hierdurch wächst die Bereitschaft der Bevölkerung, Angriffe gegen fremde Soldat*innen zu tolerieren. Wenn Kombattant*innen zu Methoden wie Selbstmordattentaten oder IED-Sprengfallen („Improvised Explosive Devices“) greifen, können bewaffnete Drohnen Soldat*innen nicht davor schützen. Die Versuchung wird jedoch groß, „präventive Tötungen von Verdächtigen“ durchzuführen, das Völkerrecht dadurch zu verletzen, und in einen Teufelskreis von Gewaltanwendung einzusteigen. Relativ viele der 35 Bundeswehrsoldat*innen, die beim ISAF-Einsatz bis 31.12.2014 getötet worden sind, wurden durch Selbstmordattentate oder IED-Sprengfallen umgebracht.[8]

2) Die Belastung für die Zivilbevölkerung in den betroffenen Gebieten ist disproportional.

a) Schon allein der Einsatz von bewaffneten Drohnen fügt allen Zivilist*innen in der betroffenen Bevölkerung, darunter den Kindern, schwere psychische Schäden zu, wie u.a. die 2012 veröffentlichte Studie „Living Under Drones“der Stanford University Law School[9] und das 2017 erschienene Buch „Tod per Knopfdruck: Das wahre Ausmaß des US-Drohnen-Terrors oder wie Mord zum Alltag werden konnte“ von Emran Feroz[10] bewiesen haben.  Wir können uns vielleicht vorstellen, wie es für uns wäre, wenn hier in Deutschland bewaffnete Flugkörper über unseren Köpfen — und den Köpfen unserer Kinder — Tag und Nacht mit einer ständigen Drohung des plötzlichen Todes fliegen würden.

b) Durch den Einsatz von bewaffneten Drohnen bezeugen die Regierungen von hoch-technologisierten Ländern, dass sie das Leben ihrer Soldat*innen viel höher bewerten als das Leben der Zivilist*innen in einer Konfliktzone. Der britische Journalist und Drohnen-Experte Chris Cole kommentiert: „Der Wunsch, ‚unsere Jungs‘ aus innenpolitischen Gründen zu beschützen, führt zum Einsatz ferngesteuerter Waffensysteme, die für die Zivilist*innen vor Ort höhere Risiken bergen können. Dieser Risikotransfer steht nach den Worten des Drohnenexperten Christian Enemark im totalen Widerspruch zum Kriegsvölkerrecht, das die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten fordert. Während es stimmt, dass alles getan werden muss, um die Risiken für das Personal zu reduzieren, wird hier das Prinzip aufgeweicht, dass das größere Risiko die Kämpfer, nicht die Zivilist*innen tragen müssen.[11]

3) Die grundsätzlichen „ethischen und sicherheitspolitischen“ Risiken des Einsatzes von bewaffneten Drohnen können nicht durch Vereinbarungen von Einsatzregeln behoben werden.

a) Einsatzregeln sind grundsätzlich änderbar. Sie bieten keine langfristige Sicherheit gegen Missbrauch, weil die Bundeswehr die jeweiligen Einsatzregeln abhängig vom Mandat gestaltet.

b) Die Einsatzregeln für bewaffnete Bundeswehr-Drohnen, die das Verteidigungsministerium bisher vorgeschlagen hat, sind fast identisch mit den Einsatzregeln („Rules of Engagement“) der USA bei bewaffneten Konflikten, welche die Nicht-Kombattant*innen auch schützen sollten. Bei solchen US-Einsätzen wurde die Schießerlaubnis meistens nicht aus der Ferne, sondern durch US-Militärpersonal vor Ort erteilt, ähnlich wie das Verteidigungsministerium für die Bundeswehr vorgeschlagen hat.[12] Ein ausreichender Schutz der Zivilist*innen wird hierdurch nicht bewirkt, wie der katastrophale Einsatz einer bewaffneten Drohne durch das US-Militär in der Nähe von Kabul in Afghanistan am 29. August 2021 zeigt. Trotz vieler Maßnahmen des Militärs, um die Tötung von Zivilist*innen zu vermeiden, hatte das US-Militär in der Nähe von Kabul zehn Zivilist*innen, darunter sieben Kinder, ermordet.[13]

c) Die Koalitionspartner lehnen „extralegale Tötungen“ durch Drohnen zurecht ab. Jedoch werden Bündnis 90/Die Grünen und die neue Bundesregierung sicherlich zudem Konsequenzen aus der investigativen Berichterstattung von The New York Times vom August und Dezember 2021 ziehen wollen.[14] Die Enthüllungen in diesen Berichten wurden zudem durch weitere Leitmedien in den USA, in Deutschland und weltweit bekannt gemacht. Es wurde hierdurch bekannt, dass beim Einsatz von Kampfdrohnen seit zwanzig Jahren in den bewaffneten Konflikten in Afghanistan, im Irak, und in Syrien etliche tausenden Zivilist*innen mehr, darunter Kinder, ermordet wurden, als vorher allgemein in der Öffentlichkeit bekannt war.

d) Schon seit Jahren hatten Whistleblower unter großem Risiko für sich selbst versucht, die willkürlichen Tötungen von Zivilist*innen bekannt zu machen. Zum Beispiel hat der ehemalige US Air Force Sensor Operator Brandon Bryant 2015 im Bundestag die Fehlerhaftigkeit von bewaffneten Drohnen als Waffensystem bezeugt. Der US Air Force und NSA-Mitarbeiter Daniel Hale hat 2015 einem Journalisten ein geheimes Dokument der US-Regierung übergegeben, wonach in einer fünfmonatigen Untersuchungsperiode in Afghanistan 90% der Getöteten nicht die beabsichtigten Angriffsziele waren.[15]

e) Der US-Völkerrechtler Peter Weiss, Anwalt und Vizepräsident des Center for Constitutional Rights (CCR), schrieb zusammen mit Judy Weiss In dem Beitrag, „Drohnen müssen als Waffen geächtet werden“, vom Oktober 2021: „Der Einsatz bestimmter Waffen, die als grob unmenschlich eingestuft werden oder bei denen nicht zwischen militärischen und zivilen Zielen unterschieden werden kann, ist bereits nach internationalem Recht verboten“.[16]

4) Die Bewaffnung von Drohnen fördert die Entwicklung von autonomen Waffensystemen und führt zu einer Entgrenzung des Krieges, sowohl zeitlich als auch räumlich.

a) Bei der öffentlichen Anhörung am 30.06.2014 im Verteidigungsausschuss zur Bewaffnung von Drohnen warnte Dr. Marcel Dickow der Stiftung Wissenschaft und Politik davor, „dass Drohnen zunehmend autonomer konzipiert würden, um beispielweise die große Menge an Aufklärungsdaten auszuwerten. Dickow appellierte an die Bundesregierung, sich für eine Ächtung von Drohnen einzusetzen, die automatisiert einen möglichen Gegner im Einsatzgebiet bekämpfen können. Grundsätzlich sollte die Bundeswehr nur Aufklärungsdrohnen einsetzen und keine Kampfdrohnen.“ [17]

b)  In einem Offenen Brief, der von Telepolis im November 2021 veröffentlicht wurde, warnten KI-Forscher aus Deutschland, UK und Österreich vor der Anschaffung von bewaffneten Drohnen, die bald durch einen Software-Austausch in autonome Waffen umgewandelt werden könnten.[18]

c) Jakob Foerster, Wissenschaftler der Künstlichen Intelligenz und Associate Professor an der Universität Oxford, wies bereits im Dezember 2020 auf die wachsenden Gefahren der „Hackability“ von bewaffneten Drohnen hin: „In der Tat, bei keiner Softwareanwendung lassen sich Sicherheitslücken kategorisch ausschließen. Dieses Problem wird sich durch vernetzt agierende Schwarm-Systeme in Zukunft möglicherweise verschärfen, da ganze Waffensysteme gekapert werden könnten und die Vernetzung immer auch Schwachstellen bringt.“[19]

Bitte stimmen Sie gegen eine Bewaffnung von Bundeswehr-Drohnen. Sie würde einen Dammbruch darstellen und einen Jahrzehnte langen Irrweg in Drohnenkriege öffnen.[20]

Bitte teilen Sie die Informationen in diesem Brief oder den Brief selbst mit Delegierten der Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen.

Wenn Sie selbst Delegierte/r sind, bitte unterstützen Sie den Antrag A-06, „Aufrüstungsspirale beenden: Entschiedene Friedenspolitik statt Drohen mit Drohnen!“ oder einen ähnlichen Antrag.

Mit freundlichen und zuversichtlichen Grüßen
Elsa Rassbach

Mitbegründerin der Drohnen-Kampagne Vertreterin zu Kampfdrohnen von Attac und der DFG-VK
und Sprecherin in Deutschland der US-Friedensorganisation CodePink (2014 Aachener Friedenspreis Trägerin)
und der Kampagne „Ban Killer Drones“

Möckernkiez 4
10963 Berlin
0170 738 1450

i.A. der Drohnen-Kampagne, das 2013 gegründetes Netzwerk mit 150 Unterstützergruppen

Koordinierungskreis: Lühr Henken, Elsa Rassbach, Laura von Wimmersperg, Rainer Hammerschmidt

drohnen-kampagne.de

PDF: Auszug: Seite 10 der Drucksache 19/7778


[1]      https://drohnen-kampagne.de/appell-keine-kampfdrohnen/unterstutzergruppen/

[2] https://antraege.gruene.de/47bdk/aufruestungsspirale_beenden_entschiedene_friedenspolitik_statt_drohen_-27683

[3]      http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP19/2713/271375.html

[4]      https://www.tagesspiegel.de/downloads/27829944/1/koalitionsvertrag-ampel-2021-2025.pdf  S. 149.

[5]      https://augengeradeaus.net/2021/06/knappe-mehrheit-billigt-im-gruenen-wahlprogramm-moegliche-beschaffung-bewaffneter-drohnen-fuer-die-bundeswehr/

[6]      https://drohnen-kampagne.org/images/docs/Drohnen_SPD_BPT_11.12.21_Transkript.fin.pdf
und https://www.heise.de/tp/features/SPD-geeint-wie-seit-vielen-Jahren-nicht-nur-nicht-bei-allen-Themen-6292950.html

[7]      Seite 10 (auch im Anhang) Bundestag-Drucksache 19/7778 „Antwort auf die Kleine Anfrage der Linken durch das BMVg   am 12.02.2019“: https://dserver.bundestag.de/btd/19/077/1907778.pdf,

[8]      Ebd.

[9]      https://www-cdn.law.stanford.edu/wp-content/uploads/2015/07/Stanford-NYU-LIVING-UNDER-DRONES.pdf

[10]    https://www.westendverlag.de/buch/tod-per-knopfdruck/

[11]    S. 53 in https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/Drohnenreport_2019.pdf

[12]    https://augengeradeaus.net/2020/07/dronewatch-verteidigungsministerium-legt-regeln-fuer-bewaffnete-deutsche-drohnen-vor/

[13]    https://www.nytimes.com/2021/09/17/us/politics/pentagon-drone-strike-afghanistan.html

[14]    https://www.nytimes.com/interactive/2021/12/18/us/airstrikes-pentagon-records-civilian-deaths.html

[15]    https://www.tagesspiegel.de/politik/leak-zu-us-drohnenkrieg-die-meisten-toten-sind-unschuldige-zivilsten/12460084.html und https://www.commondreams.org/views/2022/01/04/other-drone-casualties-whistleblowers-who-tried-stop-it

[16]    https://fpif.org/ban-the-use-of-drones-as-weapons/

[17]   https://www.bundestag.de/webarchiv/presse/hib/2014_06/285814-285814

[18]    https://www.heise.de/tp/features/Entmenschlichung-der-Entscheidung-ueber-Leben-und-Tod-6237475.html?seite=all

[19]   https://www.stern.de/digital/technik/ki-forscher—fuer-mich-waere-es-schrecklich–wenn-meine-arbeit-zum-tod-von-menschen-beitraegt–9542644.html

[20]    https://www.bloomberg.com/opinion/articles/2022-01-02/the-second-drone-age-is-a-weaponized-free-for-all-energized-by-global-commerce