Offener Brief der Drohnen-Kampagne an die Delegierten des SPD-Bundesparteitags am 11. Dezember 2021

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Berlin, den 09. Dezember 2021

Sehr geehrte Damen und Herren,

aus den folgenden (unseres Erachtens schwerwiegenden) Gründen hoffen wir, dass die Delegierten beim Bundesparteitag der SPD am Samstag, dem 11. Dezember 2021, eine neue Phase der Debatten zur Frage einer möglichen Bewaffnung von Bundeswehr-Drohnen in der SPD und in der Gesellschaft eröffnen werden:

1) Das Argument, dass die Bundeswehr zurzeit dringend bewaffnete Drohnen benötige, um Soldat*innen bei Auslandseinsätzen zu schützen, ist fadenscheinig.

a) Seit 2014 sind keine Bundeswehr-Soldat*innen durch „gegnerische Einwirkung” getötet worden. Während ISAF sind 35 der Bundeswehrsoldat*innen, die im Dienst in Afghanistan „gefallen“ sind, durch Feindeinwirkung getötet worden. Viele sind durch Selbstmordattentate getötet worden, wogegen bewaffnete Drohnen nicht schützen können.
(Quelle: Bundestag-Drucksache 19/7778 „Antwort auf die Kleine Anfrage der Linken durch das BMVg am 12.02.2019, https://dserver.bundestag.de/btd/19/077/1907778.pdf, Seite 10.)

Seit 2019 sind keine weitere Tötungen von Bundeswehrsoldat*innen durch „gegnerische Einwirkung” in Medienberichten gemeldet worden.  Allerdings wurden einige Bundeswehrsoldat*innen beim gemeinsamen Mali-Einsatz im Juni 2021 durch ein Selbstmordattentat schwer verwundet.

(Siehe: https://augengeradeaus.net/2021/07/anschlag-auf-bundeswehr-in-mali-im-juni-keine-schuesse-auf-die-autobombe/)

b) Wenn bewaffnete Drohnen Soldaten einen sicheren Schutz geben könnten, warum wurden so viele US-Soldaten in Afghanistan getötet, und zwar vom Anfang des Afghanistan-Krieges am 07.10.2001 (auch dem Tag des historisch ersten Einsatzes einer bewaffneten Drohne) bis zum Auszug der US-Streitkräfte Ende August 2021? Und warum werden französische Soldaten in Afrika getötet?

c) Bewaffnete Drohnen erhöhen die Gefahr für Soldaten erheblich, weil sie Hass und Terrorismus schüren. Der hochdekorierte US-Vier-Sterne-General und Oberkommandierende im Irak und in Afghanistan, Stanley Allen McChrystal warnte vor dem Einsatz von Drohnen in einem Interview 2013 anlässlich seiner Memoiren:

„Die Verbitterung, die durch unbemannte amerikanische Angriffe entsteht, ist viel größer als der durchschnittliche Amerikaner begreift. Man hasst sie, tief im Inneren. Selbst Leute, die nie einen erlebt haben.”

Hierdurch wächst die Bereitschaft der Bevölkerung, Angriffe gegen fremde Soldat*innen zu tolerieren.

d) Es gibt zurzeit kein Mandat für eine Bundeswehr-Auslandsmission, wo der Einsatz von bewaffneten Drohnen passend, oder notwendig wäre.  Für den UNO-Einsatz in Mali (MINUSMA) müsste die UNO erstmal entscheiden, ob bewaffnete Drohnen erwünscht wären.e) Die Heron TP Aufklärungsdrohnen der Bundeswehr könnten sehr wohl die Soldat*innen schützen. Am 27.06.2017 sagte Wolfgang Hellmich, SPD, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses dem Handelsblatt: „Auch eine unbewaffnete Heron-TP Drohne erhöhe den Schutz der Soldaten, da sie über eine bessere Optik und eine längere Stehzeit in der Luft verfüge als das Vorgängermodell. Im Falle eines Angriffs auf eine Patrouille seien ohnehin Kampfhubschrauber besser geeignet, um für Abhilfe zu sorgen, sagte Hellmich. Durch ihren Lärm könnten sie Angreifer abschrecken, noch ehe Gewalt angewendet werden müsse.“

http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/ausruestung-der-bundeswehr-koalitionskrach-ueber-beschaffungvon-drohnen/19985746.html?share=mail

Wie erfahrenes Militärpersonal weiß, können gute Aufklärungsdrohnen ein Ziel mit einem Laser markieren, und jede weitere moderne Schusswaffe wird das gelaserte Ziel sicher treffen. Ein Konvoi kann z. B. Raketen mitführen, die notfalls eingesetzt werden.

2) Die Einsatzregeln für bewaffnete Bundeswehr-Drohnen, die das Verteidigungsministerium und die Bundeswehr bisher vorgeschlagen haben, sind fast identisch mit den Einsatzregeln der US-Streitkräfte für den Schutz der eigenen Soldat*innen gegen unmittelbare Drohungen in Afghanistan. Bei diesen Einsätzen wurde die Schießerlaubnis normalerweise durch Offiziere vor Ort gegeben, z. B. beim US-Drohnenangriff in der Nähe vom Flughafen Kabul am 29.08.2021, wobei zehn Zivilist*innen, darunter sieben Kinder, getötet wurden.

a) Immer wieder erklären US-Veteran*innen des Drohnen-Programms, dass es sehr viele Fehler beim Einsatz gibt, zum Beispiel unterschiedliche Meinungen über das, was die relativ unscharfen Videobilder zeigen, Differenzen in den Teams über das, was gesehen wird (ein Kind oder ein Hund? ein Kämpfer mit Gewehr oder ein Frau mit Kind? usw.). Auch SIGINT (Signal Intelligence) wie Metadata usw. ergibt oft sehr falsche, irreführende Infos.

b) Die US-Regierung veröffentlicht sehr wenig Informationen über die Zahl und Identitäten von Getöteten und erfasst eventuell sehr wenig darüber.  Jedoch hat der US Air Force und NSA-Mitarbeiter Daniel Hale, der von 2009 bis 2013 an der Identifizierung von Zielpersonen für Drohnenangriffe in Afghanistan beteiligt war, ein Dokument der US-Regierung an einen Journalisten der Online-Zeitung Intercept gegeben, wonach in dem mehrmonatigen Erfassungszeitraum während der US-Drohnenoperation „Haymaker“ zwischen Anfang 2012 und Februar 2013 in Afghanistan 90% der Getöteten nicht die beabsichtigten Angriffsziele waren. Hale erklärte sich im Juli 2021 schuldig, die geheimen Dokumente an The Intercept weitergegeben zu haben und wurde zu 45 Monaten Freiheitsstrafe in einem Bundesgefängnis verurteilt.

c) Die Ursachen für die sehr hohe “Fehlerquote” (d.h. Tötungen von sehr vielen Zivilist*innen) bei den US-Drohnen-Angriffen in Afghanistan müssten ausführlich überprüft werden. Hierzu wäre ein Austausch mit Drohnen-Personal von Streitkräften mit viel Erfahrung auf diesem Gebiet, auch kritisches Personal wie Whistleblower, dringend notwendig. Jedoch wurden bei keinen offiziellen Foren der Drohnen-Debatten in Deutschland solche gefragt. Ohne eine sorgfältige und ausführliche Untersuchung dieser Frage wäre es höchst unverantwortlich für die BRD, Einsatzregeln für bewaffnete Drohnen-Einsätze zu verabschieden. Jedoch hat kein offizielles Gremium in Deutschland (weder BMVg, Verteidigungsausschuss, oder SPD Projektgruppe) solche Experten oder Zeug*innen mit Kenntnissen aus erster Hand oder auch Drohnenopfer-Familienmitglieder eingeladen.

d) Wo und wie sollte die Bundeswehr bei bewaffneten Drohneneinsätzen in der Lage sein, an bessere Informationen zu gelangen als die USA?

e) Auch britische Zeug*innen des britischen Drohnen-Einsatzes in Afghanistan sollten eingeladen werden, um die Problematik des gemeinsamen Einsatzes mit einem Bündnispartner wie USA (und Frankreich?) zu erläutern, der ein anderes Verständnis von rechtmäßigem Einsatz hat. Hat die “rote Karte” von Großbritannien immer gegen ungewollte Rechtsverletzungen in Afghanistan geschützt?

3) Die Belastung für die Zivilbevölkerung in den betroffenen Gebieten ist disproportional.

a) Es gibt sehr viele Studien, z. B. “Living under Drones”, die beweisen, dass allein der Einsatz von bewaffneten Drohnen alle Zivilist*innen in der betroffenen Bevölkerung, darunter Kinder, terrorisiert und schwere psychologische Schäden zufügt. Wir können uns auch vielleicht vorstellen, wie es für uns wäre, wenn hier in Deutschland bewaffnete Flugkörper über unsere Köpfe — und die unserer Kinder Tag und Nacht — mit einer ständigen Drohung des plötzlichen Todes fliegen würden.  Solchen Schaden zuzufügen, wenn es doch andere Möglichkeiten gibt, Soldat*innen zu schützen, ist unverantwortlich.

b) Der britische Journalist und Drohnen-Experte Chris Cole schreibt:  „Die wichtige Frage ist hier, ob Interventionen mit bewaffneten Drohnen das Kriegsrisiko auf die Zivilist*innen verlagert. In den letzten zehn Jahren hat sich der Blick der westlichen Gesellschaft auf die Militärs zunehmend verändert. Das Leben westlicher Soldat*innen wird inzwischen viel höher bewertet als das Leben der Zivilist*innen in einer Konfliktzone. Der Wunsch, unsere Jungs aus innenpolitischen Gründen zu beschützen, führt zum Einsatz ferngesteuerter Waffensysteme, die für die Zivilist*innen vor Ort höhere Risiken bergen können. Dieser Risikotransfer steht nach den Worten des Drohnenexperten Christian Enemark im totalen Widerspruch zum Kriegsvölkerrecht, das die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten fordert. Während es stimmt, dass alles getan werden muss, um die Risiken für das Personal zu reduzieren, wird hier das Prinzip aufgeweicht, dass das größere Risiko die Kämpfer, nicht die Zivilist*innen tragen müssen.”

(S. 53 in https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/Drohnenreport_2019.pdf)

c) Der US-Völkerrechtler Peter Weiss, Anwalt und Vizepräsident des Center for Consitutional Rights, teilt diese Meinung. In seinem Beitrag vom Oktober 2021, „Drohnen müssen als Waffen geächtet werden“, zusammen mit Judy Weiss, schrieb er:  „Der Einsatz bestimmter Waffen, die als grob unmenschlich eingestuft werden oder bei denen nicht zwischen militärischen und zivilen Zielen unterschieden werden kann, ist bereits nach internationalem Recht verboten.”

4) Die Bewaffnung von Drohnen fördert die Entwicklung von autonomen Waffensystemen. 

a) So warnte der SPD-Experte Dr. Marcel Dickow der Stiftung Wissenschaft und Politik bei der öffentlichen Anhörung im Verteidigungsausschuss am 30.06.2014 davor, „dass Drohnen zunehmend autonomer konzipiert würden, um beispielweise die große Menge an Aufklärungsdaten auszuwerten. Dickow appellierte an die Bundesregierung, sich für eine Ächtung von Drohnen einzusetzen, die automatisiert einen möglichen Gegner im Einsatzgebiet bekämpfen können. Grundsätzlich sollte die Bundeswehr nur Aufklärungsdrohnen einsetzen und keine Kampfdrohnen.“
Siehe: https://www.bundestag.de/webarchiv/presse/hib/2014_06/285814-285814

b) So warnte auch die SPD KI-Expertin, MdB Daniela Kolbe, die an der SPD-Projektgruppe zu bewaffnete Drohnen 2021 beteiligt war.

c) In einem Offenen Brief, der als Anzeige in der FAZ im November 2021 veröffentlicht wurde, warnen viele weitere KI-Forscher aus Deutschland, UK und USA vor der Anschaffung von bewaffneten Drohnen, die bald durch Software-Austausch zu autonomen Waffen verwandelt werden könnten: https://www.autonomewaffen.org

Mit freundlichen und zuversichtlichen Grüßen

Elsa Rassbach
Mitbegründerin der Drohnen-Kampagne
Vertreterin zu Kampfdrohnen von Attac und der DFG-VK
Sprecherin in Deutschland der US-Friedensorganisation CodePink (2014 Aachener Friedenspreis Trägerin) und der Kampagne „Ban Killer Drones“

i. A. der Drohnen-Kampagne, das 2013 gegründetes Netzwerk mit 150 Unterstützergruppen

drohnen-kampagne.de

Koordinierungskreis:
Lühr Henken, Elsa Rassbach, Laura von Wimmersperg, Rainer Hammerschmidt