Der neue Drohnenkrieg im Aus- und Inland: Daten sammeln, schützen, zur „Not“ töten?
Elsa Rassbach
Ein Überblick über den Stand der Planungen für große Aufklärungs- und Kampfdrohnen der Bundeswehr zeigt, dass es noch viele Möglichkeiten gibt, dieses zentrale Rüstungsprojekt der Bundesregierung wirksam zu kritisieren.
Bereits am 26. Oktober 2021, vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine, setzte die ukrainische Regierung die türkischen MALE Aufklärungs- und Kampfdrohnen Bayraktar TB2 gegen die prorussischen Rebellen im Osten des Landes ein.
Die TB2 sind mit Zielerfassungssystemen aus südafrikanischen Produktionsstätten des bayrischen Rüstungskonzerns Hensoldt, seit 2017 selbst ein Ableger von Airbus, sowie mit weiteren Technologien von anderen deutschen Rüstungsunternehmen ausgestattet.
Mindestens 24 Ländern, darunter Albanien, Aserbaidschan, Äthiopien, Katar, Marokko, Pakistan, Polen, Tunesien, Turkmenistan, West Libyen, Äthiopien und Saudi-Arabien, haben nach Angaben der Hersteller die TB 2 gekauft. Die türkische Regierung setzt die Bayraktar TB 2 seit langem völkerrechtswidrig gegen kurdische Oppositionellen in der Türkei, aber auch in Syrien und im Irak ein.
Der Völkerrechtsexperte Andreas Schüller von der Berliner NGO European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) sagt: „Es besteht natürlich das Dilemma, dass Deutschland auf der einen Seite eine Befriedung des Konflikts in der Ukraine möchte, auf der anderen Seite aber gerade durch diese Drohnen eine Gewaltspirale droht, fortgesetzt zu werden.“
Verlängerte Drohnen-Debatte nach einem Bundestag-Beschluss 2022
Im Aufrüstungsrausch nach dem völkerrechtswidrigen Angriff von Russland gegen die Ukraine bewilligte der Haushaltsausschuss des Bundestags am 06. April 2022 die Beschaffung von Präzisionsraketen aus Israel, die 2024 an die Bundeswehr für die fünf israelische Heron TP Drohnen geliefert werden sollen, die 2018 über Airbus geleast wurden. Die endgültige Zustimmung zum Einsatz der bewaffneten Heron TP durch die Bundeswehr hat der Haushaltsausschuss am 6. April jedoch an die Erfüllung strenger Auflagen geknüpft. Hier gibt es viel zu diskutieren: Zum Beispiel kann die Erfüllung der Bedingung Nr. 5, „verbindliche Einsatzgrundsätze für bewaffnete Drohnen“ festzulegen, aufgrund der üblichen Intransparenz von tödlichen Drohneneinsätzen kaum für alle möglichen tödlichen Drohnenmodelle in allen zukünftigen Einsatzszenarien unter verschiedenen Bundesregierungen „verbindlich“ beschlossen werden.
Im Koalitionsvertrag 2017 wurden die deutschen Heron TP-Drohnen als „Zwischenlösung“ für die geplante Eurodrohne bezeichnet – ein Projekt von Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien mit Airbus als Hauptauftragnehmer. Nun sollen bis 2029 rund zwanzig Eurodrohnen an die Bundeswehr geliefert werden. Über ihre mögliche Bewaffnung wurde noch nicht beschlossen.
Kein passender Auslandseinsatz
Bis vor kurzem war geplant, im Jahr 2025 bewaffnete Heron TP-Drohnen zum Schutz der Soldat*innen in Mali einzusetzen. Seit Oktober 2022 hat die malische Regierung jedoch immer wieder Flüge der Heron 1 und anderer Aufklärungsdrohnen der Bundeswehr über Mali für längere Zeiträume gestoppt und sich zuletzt bei der UNO über Souveränitätsverletzungen bei der UN-Mission MINUSMA beschwert.
Die Bundeswehr habe ihre Aufklärungsdaten entgegen einer Vereinbarung nicht transparent mit der malischen Regierung geteilt, heißt es in der Beschwerde. Die malische Regierung kündigte an, weiterhin mit russischen Militärberatern zu kooperieren und das Angebot der chinesischen Regierung anzunehmen, alle weiteren Drohnenaufklärungen in Mali zu übernehmen.
Heron-TP-Drohnen für die Landesverteidigung?
Mit Blick auf den eskalierenden Krieg will die Bundeswehr eine rechtliche Grundlage für die Genehmigung von Flügen der israelischen Drohnen im zivilen deutschen Luftraum bewirken, um sie künftig für die Landes- und Bündnisverteidigung nutzen zu können, da sie nun durch Air- bus an deutsche Luftverkehrsanforderungen angepasst wurden. Ein Vertreter des Verteidigungsministeriums sagte der Süddeutschen Zeitung, dass Drohnen bei der Landes- und Bündnisverteidigung „vergleichbar“ verwendet werden konnten wie im Auslandseinsatz, nämlich „für den Schutz der eigenen Kräfte“.
Als erster Schritt erhielten Airbus und IAI am 8. Dezember 2022 auf dem israelischen Luftwaffenstützpunkt Tel Nof eine Abschrift des neuen Musterzertifikats für die deutsche Heron TP des Luftfahrt Bundesamtes. Nach Angaben der Bundeswehr ist diese Drohne „eines der ersten unbemannten Luftfahrzeugsysteme, das nach dem aktuellsten international anerkannten militärischen Lufttüchtigkeitsstandard zugelassen wurden. Dadurch kann dessen Zulassung grundsätzlich in allen NATO-Staaten anerkannt werden.“
Infolge der Musterzulassung dürfen Bundeswehr-Drohnenpilot*innen in der zweiten Jahreshälfte 2023 für sechs Monate in einem separaten Flugkorridor über dem Fliegerhorst Jagel in Schleswig-Holstein begrenzte Demonstrationsflüge mit der noch unbewaffneten Heron TP durchführen. Derzeit üben Bundeswehrsoldat*innen der Einheit „Immelmann“ in Jagel den Einsatz der unbewaffneten deutschen Heron TP als Aufklärungsdrohne im Containerdorf „Red Baron“ auf Tel Nof.
Für eine Gesetzesänderung, die eine Zulassung für den zivilen Luftraum ermöglicht, wäre vermutlich der Verkehrsausschuss des Bundestages zuständig. Um die Integration von unbemannten Luftfahrzeugen in den zivilen Luftraum zu ermöglichen, stellt das bayerische Unternehmen Hensoldt ein Radarsystem her, mit dem Drohnen eine drohende Kollision erkennen können.
Israel, Frankreich, Großbritannien und die USA haben in den letzten paar Jahren Test-Flüge mit militärischen Drohnen in zivilem Luftraum, auch mit Landungen auf zivilen Flughäfen, durch- geführt. Im Jahr 2020, während der landesweiten Black Lives Matter-Proteste nach dem Mord an George Floyd, wurden US-amerikanische Predator-„Killerdrohnen“ – vermutlich unbewaffnet – bei Aufklärungsflügen in den USA gesichtet. US-Kongress-Abgeordneten der Democratic Party und die NGO American Civil Liberties Union (ACLU) haben zusammen mit anderen gegen diese Drohnen-Flüge protestiert.
Vermutlich werden auch die Menschen in Deutschland den deutschen Politiker*innen auch Fragen stellen wollen, ob oder unter welchen Bedingungen Bundeswehr-Drohnen zur Landesverteidigung im deutschen zivilen Luftraum herumfliegen sollen: Fragen zum Beispiel zum Datenschutz oder zur Anfälligkeit für Kollisionen mit zivilen Flugzeugen, oder unter welchen Umständen solche Bundeswehrdrohnen bewaffnet sein könnten.
Elsa Rassbach ist deutsch-amerikanische US-Bürgerin, Journalistin und preisgekrönte Produzentin/Filmemacherin (The Killing Floor, 1984), die seit dem Vietnamkrieg als Friedensaktivistin in den USA und in Deutschland tätig ist, derzeit als Sprecherin zu Drohnen bei DFG-VK, Attac und dem Netzwerk Drohnen-Kampagne, die sie 2013 mitbegründet hat.
Siehe auch:
Kurzfilm: Widerstand am Tor#9 (Fliegerhorst Jagel), 2018, 11. min
Beitrag von Elsa Rassbach in FriedensForum, Heft 2, 2023